Exkusion in die Gertrudenberger Höhlen in Osnabrück
„Todesmutig“ gewannen Mitglieder und Freunde des Carolingerbundes tiefe Einblicke in die Welt unter dem Bürgerpark. Unter fachkundiger Führung des Vorsitzenden des Vereins Gertrudenberger Höhlen Osnabrück nutzten sie die einmalige Gelegenheit, ebendiese Höhlen körperlich und geistig auszuleuchten.
Noch sind die Höhlen dem Publikum nicht zugänglich, aber der Verein bemüht sich seit Jahren darum, dieses archäologische und historische Juwel für die Osnabrücker zu öffnen. Auch wenn die Metapher „Leuchtturmprojekt“ für eine Höhle unangemessen erscheint, so macht diese Bezeichnung doch die Bedeutung der Gertrudenberger Höhlen deutlich.
Vor mehr als 230 Millionen Jahren entstand der Trochitenkalk, aus dem seit mehr als 1000 Jahren Gestein gebrochen wurde, das als Baumaterial genutzt und aus dem in Brennöfen Kalk gewonnen wurde. Beide Materialien finden sich in den Bauwerken des Osnabrücker Landes, in den noch vorhandenen des Klosters am Gertrudenberg und den untergegangenen Festungsanlagen wie der Petersburg.
Ob auch zur Zeit Karls des Großen Höhlen ausgeschlagen wurden, ist historisch nicht belegt. Aber die Härte des Gesteins in Verbindung mit den beschränkten Möglichkeiten des Gesteinsbrechens zu dieser Zeit lässt den Schluss zu, dass über weit mehr als 1000 Jahre der Trochitenkalk gebrochen wurde.
Wie die Bergleute das Gestein brachen, wurde den interessierten Zuschauern zwar nicht mit Holzkeilen und Hämmern unter Einsatz von Wasser gezeigt, aber doch so deutlich gemacht, dass alle die Leistungen der Menschen der damaligen Zeit bewunderten, aber auch den Zwang erkannten, die Materialien am Ort unter Einsatz aller Mittel zu nutzen. Diese Leistungen sollten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Historisch belegt ist, dass 1333 die Stiftsdamen des Klosters Gertrudenberg diese verlassene Steingrube („fovea lapidum desolata“) im Tausch gegen einen ertragreichen „guten Acker“ erwarben, um das Gestein für ihre Bauwerke zu nutzen. Und ebenso historisch belegt ist, dass ab 1540 die Stadt auf dem Gertrudenberg oder in der Nähe mehrere Kalköfen betrieb.
Über die Bedeutung der Höhlen während des 30-jährigen Krieges gibt es viele Spekulationen. Während die Schweden auf dem Gertrudenberg ihre Geschütze positioniert hatten, mit denen die Stadt beschossen wurde, konnte unter ihnen in den ausgeschlagenen Gängen und Höhlen reger Querverkehr stattgefunden haben. Es war möglich, durch die Eingänge unterhalb des heutigen Bürgerparks zum Kloster zu gelangen. Ebenso konnten Gänge bis hin zum Pernikelturm und den rechts der Hase liegenden
Vorwerken genutzt werden.
Geschichten, dass die Gänge weiter unter der Hase hindurch in die Stadt hineinführen, sind schön erzählt. Ob die Gruppe sich auf den Spuren der Gesandten der Friedensverhandlungen am Ende des 30-jährigen Krieges im Labyrinth der Gertrudenberger Höhlen bewegte, wurde in den Gesprächen erwogen und für möglich erachtet.
Im 19. Jahrhundert wurden die Höhlen erweitert, aber vor allem für die Nutzung durch Brauereien umgebaut. Bei diesem Umbau trat die archäologische Bedeutung in den Hintergrund. Einige Abschnitt wurden zugemauert, mit Schutt verfüllt oder für die Zwecke der Bierlagerung eingeebnet. Ein 42 m tiefer Brunnen wurde von der „Gertrudenberger Dampfbierbrauerei Martin Richter“ genutzt und nach der Schließung der Brauerei mit Bauschutt verfüllt!
Aber im Jahre 1900 konnte die Höhle noch festlich illuminiert vom Publikum bestaunt werden, so wie es Senator Wagner ermöglicht hatte.
Der Niedergang des Kulturdenkmals Gertrudenberger Höhlen begann mit dem Nationalsozialismus und den Kriegsvorbereitungen. Wie auch am Schölerberg wurden die Höhlen für den Luftschutz der Bevölkerung vorbereitet. Zwischenwände wurden eingezogen, Versorgungseinrichtungen, insbesondere Toilettenanlagen, geschaffen und auch die Stollenzugänge eingeschränkt, so dass nur noch ein Zugang über eine Treppe und ein ebenerdiger Zugang für die Nutzung mit Kinderwagen (!) verblieben.
Dennoch war der Ausbau der Höhlen für die nahe wohnende Bevölkerung lebensrettend. Während der beiden zerstörerischen Großangriffe auf Osnabrück Ende 1944 und insbesondere am Palmsonntag 1945 fanden weit mehr als für die geplanten 4.000 Personen Zuflucht in den Höhlen. Die Gruppe wurde sehr still, als berichtet wurde, dass fast 6.000 Personen, vor allem Frauen und Kinder, sich die Plätze in den im Durchschnitt nicht einmal 3,00 m hohen Räumen, deren Boden und Decke zudem noch bis zu 30 Grad nach Nordosten geneigt sind, teilen mussten.
Die Schichtung des Millionen Jahre alten Gesteins und die Schaffung der Höhlen mit Hammer und Meißel um die Lebensgrundlage der Osnabrücker Bevölkerung zu sichern, beeindruckte alle Höhlengänger. Sie waren sich mit den Vertretern der Vereins darin einig, dass die bisherigen Widerstände zur Nutzung der Höhlen überwunden werden müssen.
Nach dem erfolgreichen Ausstieg aus den Gertrudenberger Höhlen begab sich die Gruppe noch in die ehemalige Klosterkirche am Gertrudenberg. Dort konnten bei Kaffee und Kuchen mit einem schönen Blick auf den einzigen in Osnabrück noch vorhandenen Barockaltar die Eindrücke vertieft und die Geschehnisse der vergangenen 1500 Jahre am Gertrudenberg verarbeitet werden.
Dankesworte von Frank Eilermann, der diese Begehung ermöglicht hatte, an den ersten Vorsitzenden des Vereins Wilfried Kley und seine Mannschaft beendeten die eindrucksvolle Besichtigung.
Klaus W. Kafsack
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